Die Aids-Hilfe Dresden stellt hier 30 bewegte Jahre vor. Abschnittsweise wird die Chronik in fünf Teilen veröffentlicht. Das Gründungsdatum 01.10.1990 geht auf die Registrierung des Vereins zurück und bietet Anlass einen Blick zurück zu werfen, immer verknüpft mit einem Blick nach vorn. Wir freuen uns über Anregungen – kontaktieren Sie uns gern!
Vom Anfang bis …
Begonnen hat alles damit, dass sich sechs engagierte Männer 1989 trafen, um die Aids-Hilfe Dresden aus der Taufe zu heben. 1989 war das Jahr, in dem die friedliche Revolution in der DDR den Weg zu einem vereinigten Deutschland ebnete. HIV und Aids spielten in der DDR keine große Rolle. 25 Personen mit Aids wurden 1989 offiziell von den Gesundheitsbehörden der DDR gezählt. Mit den offenen Grenzen und der Reiselust von Ost nach West und West nach Ost stieg auch die Sorge, dass das Virus die Chance hätte, das größte Kondom der Welt, nämlich die jetzt durchlässige Mauer zwischen den beiden deutschen Staaten, zu überwinden.
Die Aids-Hilfen in Berlin (die AIDS-Hilfe DDR und die DAH – Deutsche A.I.D.S.-Hilfe e.V. als Dachverband) unterstützten mit vielfältigen Angeboten das Engagement ostdeutscher schwuler Männer – so auch in Dresden. Letztendlich besiegelte der Eintrag ins Dresdner Vereinsregister im Oktober 1990 die Geburtsstunde des Aids-Hilfe Dresden e.V.
Die Vereinsgründer und die ersten Mitglieder legten die Ziele der Arbeit der Aids-Hilfe in einer Satzung fest. Feste Arbeitsfelder waren die Begleitung von Menschen mit HIV und Aids, ein Beratungsangebot sowie Prävention in verschiedenen Szenen. Alle Aufgaben wurden ehrenamtlich angegangen, denn die damals vorhandenen Strukturen in städtischen Behörden und Ministerien ließen eine finanzielle Unterstützung noch nicht zu.
Ihr erstes Domizil fand die Aids-Hilfe 1991 im Haus der Jugend auf der Wiener Straße 41. Das Haus war vor 1989 Sitz der FDJ Bezirksleitung und lag direkt gegenüber der Intertankstelle. Das Gebäude war vom Stadtjugendring übernommen worden und bot verschiedenen Gruppen Obdach. In einem kleinen, dunklen und spärlich ausgestatteten Zimmer nahm die Aids-Hilfe ihre ehrenamtliche Arbeit auf. Somit war die erste Beratungsstelle zu HIV und Aids in Dresden gegründet, noch lange vor der städtischen Beratungsstelle des Gesundheitsamtes.
Und das winzige Zimmer sollte nicht der letzte Standort der Aids-Hilfe sein. 1994 konnte die Aids-Hilfe in einen ehemaligen Kindergarten auf die Florian-Geyer-Straße in Johannstadt ziehen. Dort verfügte sie über mehrere Räume und ein großes Gartenareal. Das Erdgeschoss teilte sich die Aids-Hilfe mit der Jugend- und Drogenberatungsstelle des Gesundheitsamtes Dresden. Im Keller des Gebäudes, genauer gesagt im ehemaligen Luftschutzbunker, initiierte der damalige Streetworker regelmäßige Treffen von schwulen Männern, um gemeinsam Fetischpartys und Fetischtreffen durchzuführen. Aus dem sogenannten „Bunker“ entstand 1996 der Leder- und Fetischclub Dresden e.V., der heute seinen Sitz auf der Prießnitzstraße 51 hat. 1999 erfolgte der bisher letzte Umzug in die Räume der heutigen Beratungsstelle auf dem Bischofsweg 46.
Von Menschen für Menschen
Das rechtliche Konstrukt eines eingetragenen Vereines ist die zwingende Notwendigkeit, um staatliche Fördermittel und steuerliche Vorteile zu erhalten. Das war den Gründern der Aids-Hilfe von Anfang an klar, auch durch die Beratung der Aids-Hilfen in Berlin.
Aber diese Interessengemeinschaft wäre nichts ohne Menschen, die dem Ganzen Leben einhauchten. Wie schon 1989 sind und bleiben die ehrenamtlich Engagierten wichtigster Motor des Vereins. Von Beginn bis heute vertreten Ehrenamtliche in der Funktion als Vorstände den Verein nach Außen und führen die Geschäfte. In den 30 Jahren des Vereinsbestehens erfüllten insgesamt 18 Frauen und Männer diese verantwortungsvolle Aufgabe. Die Amtszeiten der Vorstände waren von sehr unterschiedlicher Länge. So gab es mehrheitlich Amtsperioden von 2 bis 4 Jahren. Aber auch eine Amtszeit von nunmehr 24 Jahren als Vorstandsmitglied zeugt von dem unermüdlichen Einsatz im Ehrenamt.
Auch bei der Erfüllung der selbst gestellten Aufgaben war und ist Ehrenamt nicht wegzudenken. In den Anfangsjahren lagen Beratung, Prävention und Begleitung auf ehrenamtlichen Schultern. Um sich das Know-How für die vielfältigen Aufgaben anzueignen, wurden erste Fortbildungsveranstaltungen der Aids-Hilfe in Berlin 1991 wahrgenommen. Dadurch konnte das Beratungstelefon ehrenamtlich bedient werden. Um dieses Beratungsangebot abzusichern, leitete die Aids-Hilfe 1994 eigens eine interne Schulung für Freiwillige in die Wege, damit diese nach der Ausbildung in den Abendstunden das Telefon bedienten und ratsuchenden Menschen Rede und Antwort stehen konnten. Die Beratung in den Abendstunden war oft frustrierend – das Telefon wollte einfach nicht klingeln.
1995 gründeten Ehrenamtliche in den Räumen auf der Florian-Geyer-Straße das Café Corner. Die Idee war, Freiräume für ehrenamtliches Engagement zu schaffen und einen regelmäßigen Treffpunkt zu organisieren. Dies taten die Freiwilligen hinter und vor dem Tresen. Das Café Corner änderte 1996 seinen Namen und hieß ab da Café Orange. Bis 1998 blieb das Café Orange bestehen. Ein neuer Versuch einen Treffpunkt außerhalb der Beratungsstelle zu schaffen, erfolgte 1999 mit der Eröffnung des Infoladens in dem gerade entstandenen Stadtteilhaus Äußere Neustadt auf der Prießnitzstraße 18. Beim Infoladen ging es nunmehr nicht nur um einen Barbetrieb, vielmehr war der Infoladen Anlaufpunkt für die Selbsthilfegruppe der Aids-Hilfe und diente gleichzeitig als kleine Videothek und Bibliothek für interessierte Besucher*innen. Aufgrund fehlender Finanzierung musste der Verein den Infoladen 2003 an den Gerede e.V. abgeben. Der Gerede e.V. unterhält bis heute eine Bibliothek in den ursprünglichen Räumen des Infoladens.
Freiwillige waren und sind bei vielfältigen Veranstaltungen Ideengeber*innen und tatkräftige Unterstützer*innen. Zu nennen sind hier beispielhaft der Welt-Aids-Tag, der seit 1988, in Dresden seit 1991, rund um den Globus am 1. Dezember an das Thema AIDS erinnert und dazu aufruft, aktiv zu werden und Solidarität mit HIV-Infizierten, Aids-Kranken und den ihnen nahestehenden Menschen zu zeigen. Aber auch der Christopher-Street-Day ist seit 1993 ein jährlicher Höhepunkt im Veranstaltungskalender der Aids-Hilfe, an dem ehrenamtlicher Einsatz gefordert ist.
Und noch drei besondere Projekte von Ehrenamtlichen sollen hier Erwähnung finden:
Mit der Stellenstreichung des Streetworkers wollten sich eine Reihe Freiwilliger nicht abfinden und gründeten 1996 eine Streetworkergruppe. Klar erkenntliche an neonfarbenen Warnwesten mit dem Aufdruck Aids-Hilfe Dresden ging die Gruppe in die Dresdner Schwulenszene, um zu informieren und Kondome zu verteilen. Die Gruppe löste sich Ende 1998 wieder auf.
Das Jugendprojekt d.a.s. (diverses – aids – sexualität) der Aids-Hilfe Dresden e.V. war ein Zusammenschluss von vier ehrenamtlich arbeitenden Jugendlichen im Alter von 18 bis 24 Jahren. d.a.s. hatte sich im Januar 2003 gegründet und sich zur Aufgabe gestellt, Jugendlichen altersgerechte Informationen über die oben genannten Themen zu vermitteln. Das Projekt erhielt in der Öffentlichkeit große Aufmerksamkeit über die Aktion „Keiner kann dich Hintern“. Die Fernsehsendung „Mach dich ran“ des MDR entdeckte das Projekt und begleitete es über einen längeren Zeitraum. In diesem Zusammenhang sponserten verschiedene Dresdner Geschäftsleute das Projekt. d.a.s. wurde aufgrund von Wegzug und Studium Ende 2004 aufgelöst.
Engagierte Frauen entwickelten 2017 das ehrenamtliche Projekt „Support your pussy“ und setzen es bis heute um. „Support your pussy“ versteht sich als ein neues Aufklärungs- und Bildungsprojekt der Aids-Hilfe Dresden e.V., das sich an jugendliche Mädchen* (einschließlich trans*- und intergeschlechtliche Menschen) im Alter zwischen 14 und 18 Jahren im Raum Dresden und Umland richtet. Das Projekt bietet sexualpädagogische Workshops zum Thema Frauen*gesundheit an.
Lange Zeit wurden die Ehrenamtlichen durch die hauptamtlichen Mitarbeiter*innen (die es seit 1991 gibt) begleitet und angeleitet. Schließlich entschloss sich der Vorstand 2005 einen Freiwilligenkoordinator einzusetzen, um die Hauptamtlichen zu entlasten und um den ehrenamtlich engagierten Menschen mehr Gewicht im Verein einzuräumen. Regelmäßige Treffen wurden und werden unter der Anleitung des Koordinators abgehalten, um Ideen zu spinnen und Einsätze zu planen. Ein Freiwilligenkoordinator erfüllt bis heute diese wichtigen Aufgaben.
„Wenn ich mit anderen über meine ehrenamtliche Arbeit rede, bekomme ich oft ‚Cool und wow, dass du das machst.‘ zu hören. Dabei engagiere ich mich aus ganz eigenen Gründen bei der Aids-Hilfe: Es macht mir Spaß und gibt mir Sinn. Ich habe großartige Menschen hier kennengelernt, lerne immer Neue und Neues kennen. Und ich merke, dass es neben Arbeitstrott und Alltag viel Größeres gibt, das es gilt anzupacken.“ (Thomas Müller, Freiwilligenkoordinator und Vorstand des Aids-Hilfe Dresden e.V.)
Geld zur Finanzierung von hauptamtlichen Mitarbeiter*innen gab es vom Freistaat Sachsen und der Kommune erst ab 1992. Der Landtag beauftragte den damaligen sächsischen Gesundheitsminister, eine Förderrichtlinie zu verabschieden, über die die vier Aidshilfen sowie die Aidsberatungsstellen des öffentlichen Gesundheitsdienstes in Sachsen finanziert werden konnten. Die Richtlinie wurde mit einer Millionen D-Mark pro Jahr ausgestattet.
Davor rief jedoch noch das Bundesgesundheitsministerium 1991 ein Modellprojekt zum Aufbau der Aidsprävention in den neuen Ländern ins Leben. Über dieses Modellprojekt konnte die Aids-Hilfe Dresden ihren ersten Mitarbeiter einstellen – einen Streetworker. Ein weiteres Programm der Bundesregierung ermöglichte es der Aids-Hilfe 1992 zwei weitere Mitarbeiter*innen einzustellen. Die Aids-Hilfe wurde zu einem sogenannten ABM-Träger (Träger für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen). So gelang es dem Verein zumindest für begrenzte Zeit zwei Hauptamtliche zu beschäftigen, die der Beratungsstelle Strukturen geben konnten.
Auch die Kommune brachte zwei Richtlinien auf die Wege – sowohl das städtische Gesundheitsamt als auch das Jugendamt unterstützten die Arbeit der Aids-Hilfe. Mit diesen drei Geldgeber*innen der öffentlichen Hand gelang es dem Verein, Kontinuität durch Hauptamtliche in der Beratungsstelle zu erreichen. Immer wieder kam es aber auch zu Auseinandersetzungen zwischen der öffentlichen Verwaltung und dem Verein als Arbeitgeber. Im Jahr 1994 wurde der Zuschuss für den Streetworker auf Null gekürzt. Das Jugendamt zog sich im Jahr 2000 komplett aus der Finanzierung zurück und zeitgleich kündigte das Gesundheitsamt die Kürzung einer halben Stelle an. Nur durch eine beherzte Entscheidung des sächsischen Sozialministeriums konnte dieser Verlust ausgeglichen werden. Mit einem Modellprojekt „Prävention im Gefängnis und Prävention für schwule Männer“ wurde eine halbe Stelle für die nächsten vier Jahre finanziert. Erst im Jahr 2004 kehrte das Gesundheitsamt Dresden zu seinem alten Fördermodus zurück und förderte anteilig wieder zwei volle Stellen.
Ab dem Jahr 2008 änderte sich die Stellenbesetzung nochmals – diesmal zum Vorteil für die Aids-Hilfe. Denn ab da wurden und werden bis heute 2,5 Fachkraftstellen sowie eine halbe Verwaltungsstelle finanziert. Mit allen ABM-Maßnahmen, Projektstellen und Arbeitsplätzen in der Beratungsstelle beschäftigte die Aids-Hilfe bis heute insgesamt 28 Mitarbeiter*innen. Das aktuelle hauptamtliche Team der Beratungsstelle arbeitet in dieser Konstellation seit 2011 zusammen.
Von Wissenschaft und Kunst
Seit 1996 beschäftigt die Aids-Hilfe regelmäßig Praktikant*innen aus Universitäten und Fachhochschulen. Der Grund für die Einstellung von Praktikant*innen ist unter anderem, dass die Mitarbeiter*innen der Beratungsstelle Inspirationen erhalten, weil der Blick von außen ein positiv kritischer ist und den Hauptamtlichen Reflektionsfläche bietet. Hin und wieder konnten auch Schüler*innen ihre Talente während ihrer Praktikumszeit aufzeigen. Seit 1996 bis heute waren insgesamt 43 Studierende und Schüler*innen in der Beratungsstelle beschäftigt und zu einigen besteht noch immer eine enge Verbundenheit. In Folge ihres Praktikums entschieden sich eine Reihe der Studierenden ein HIV/Aids-relevantes Thema für ihre Diplom-, Magister-, Bachelor oder Masterarbeit zu wählen. Die Aids-Hilfe betreute die Arbeiten und zog auch für sich selbst großen Nutzen aus den gewonnen Erkenntnissen.
Seit 1997 veranstaltet die Aids-Hilfe zweimal im Jahr Fortbildungen für Mediziner*innen, Sozialarbeiter*innen, Menschen mit HIV und Aids und weiterem interessierten Publikum. Zu diesen sehr gut besuchten Veranstaltungen halten Expert*innen aus Medizin- und Sozialwissenschaft Vorträge über neueste Entwicklungen in Therapie und Versorgung von Menschen mit HIV und Aids. Die Veranstaltungen finden in Kooperation mit einer großen Dresdner Apotheke statt und werden wirtschaftlich von dem renommierten Hotel Pullman Dresden Newa unterstützt. Im Herbst 2017 wurde die 40. Veranstaltung durchgeführt und die anstehende 46. kann aufgrund der aktuellen weltweiten Pandemie mit Covid-19 nicht stattfinden. Die Fortbildungstradition der Aids-Hilfe wird aber in Zukunft fortgeführt.
Die hauptamtlichen Mitarbeiter*innen engagieren sich auch als gefragte Gastredner*innen bei Symposien und Fachtagungen. Regelmäßig präsentierten und präsentieren sie beim Dresdner Aids-Symposium neue Entwicklungen aus ihrer Arbeit. Auch von Fachschulen, Universitäten und Fachhochschulen werden die Mitarbeiter*innen regelmäßig eingeladen, um mit Schüler*innen und Studierenden zu den Themen sexuelle Bildung sowie HIV, Aids und sexuell übertragbare Infektionen zu arbeiten.
Im Jahr 2003 wurde die Aids-Hilfe Mitglied im Kompetenznetz HIV/Aids und gehörte diesem bis 2007 an. Im Jahr 2002 gegründeten Kompetenznetz HIV/ Aids e.V. arbeiteten Wissenschaftler*innen und Mediziner*innen aus ganz Deutschland sowie die Deutsche AIDS-Gesellschaft (DAIG) und die Deutsche Aidshilfe (DAH) zusammen, um die medizinische Versorgung von Menschen mit HIV weiter zu verbessern. Das zentrale Projekt des Kompetenznetzes war eine Langzeituntersuchung mit etwa 8.000 HIV-positiven Menschen. Mit ihr sollte zum Beispiel herausgefunden werden, welche Therapiestrategien bei welchen Patienten am erfolgreichsten sind und ob es neben den bisher bekannten Langzeitnebenwirkungen noch weitere gibt.
Auch die Kunst hat es der Aids-Hilfe angetan. Mit und über Künstler*innen konnten die Präventionsbotschaften an ein breites Publikum weitergegeben werden. Schon 1992 war die Aids-Hilfe mit Infoständen bei den Konzerten von Nina Hagen und Peter Maffay. Weitere Künstler*innen sollten folgen. So war das Pop-Duo Rosenstolz regelmäßig zu Konzerten in Dresden und sammelte Geld für die Aids-Hilfe Dresden. Auf Vorschlag der Aids-Hilfe erhielte Rosenstolz 2009 die „Sächsische Ehrenmedaille für herausragende Leistungen im Kampf gegen HIV und Aids“. Diese Medaille erhielt auch die Coverband MerQury aus Dresden im Jahr 2012. MerQury wurde für ihr großartiges Engagement für die Aids-Hilfe Dresden geehrt, da sie seit dem Jahr 2000 bis heute regelmäßig im November ein Benefizkonzert zu Gunsten des Vereines veranstalten.
Da die Kasse der Aids-Hilfe immer etwas klamm war (und ist), organisierte sie im Dezember 1995 eine Kunstauktion im Deutschen Hygiene-Museum. Bekannte Künstler*innen aus Dresden spendeten Bilder für die Auktion und diese wurden an die/den Meistbietende/n versteigert. Diese Aktion füllte die Kasse merklich.
Eine besondere Spende kam 1995 von der Porzellanmanufaktur aus Meißen – die mit den zwei Schwertern. Gerüchten zu Folge produzierte die Manufaktur für eine Benefizgala von Liz Taylor Porzellanschälchen, auf deren Boden die rote Schleife zu sehen war. Die Manufaktur produzierte mehr Schälchen als benötigt. Und so landeten diese Unikate bei der Aids-Hilfe. Diese konnten mehrfach mit einem guten Preis verkauft werden. Heute gibt es nur noch wenige davon.
Im Frühjahr 2002 klopften zwei Dresdner Kabarettisten an der Türe der Beratungsstelle und brachten eine wahnsinnige Idee mit. Sie wollten gemeinsam mit der Aids-Hilfe die „Erste Dresdner Aidsgala“ veranstalten. Und so geschah es auch. Am 01.12.2002, also pünktlich zum Welt-Aids-Tag, ging die erste Dresdner Aidsgala unter dem Motto „Du sollst mein Glücksschwein sein“ in der Herkuleskeule über die Bühne. Der Erfolg der Veranstaltung war überwältigend. Auf die erste Gala sollten noch weitere vier folgen: 2003 „Lust auf Leben?“ in der Staatsoperette Dresden, 2004 „Kann denn Liebe Sünde sein?“ im Deutschen Hygiene-Museum, 2005 mit „Räume für Träume“ ging es zurück in die Herkuleskeule und die letzte Gala fand 2006 unter dem Motto „Leb dich!“ im Kleinen Haus des Staatsschauspiel Dresden statt. Bei allen Veranstaltungen waren hochrangige Künstler*innen beteiligt, so z.B. Gisela May und Rainer Bielfeldt, Lilo Wanders, Gabi Decker, Gayle Tufts, Wolfgang Stumph, Anka Zink, Caroline Beil, Rolf Kühn, Malediva, Denis Fischer,
Gitte Haenning, Thomas Quasthoff, Rolf Kühn und Kai Vogler. Beteiligt waren auch immer die Ensembles der Staatsoperette und der Herkuleskeule. Organisiert wurden alle Galas ehrenamtlich mit großzügiger Unterstützung von Sponsoren und Spender*innen. Die Häuser waren immer ausverkauft, das Publikum regelmäßig begeistert und die Aids-Hilfe mit den Spendeneinnahmen hoch zufrieden. Die Fortführung der Aidsgala zum sechsten, siebten oder achten Mal fand ein jähes Ende, da im Jahr der fünften Gala, also 2006, eine andere Gala ins Leben gerufen wurde – die Hope Gala – die just einen Monat früher von einer Dresdner Unternehmerin hochprofessionell veranstaltet wurde. Zwei Aidsgalas in Dresden? Das ging nicht. Und so musste die Aids-Hilfe wohl oder übel die Segel streichen. Die fünfte Gala blieb somit die letzte.
„Die Spendengala für unsere Aids-Hilfe – das war fremdes Terrain, das war fünf Mal enormer organisatorischer Aufwand, aber vor allem auch ein bisschen Glanz und Glamour für die Arbeit der Aids-Hilfe, tolle Begegnungen mit großartigen Künstler*innen und großzügigem Publikum. Schade, dass uns eine professionelle Organisation den Rang abgelaufen hat.“ (Beate Andelar, Mitarbeiterin der Beratungsstelle)
In den 30 Jahren gab es weitere kulturelle Höhepunkte, die hier nur kurz erwähnt werden: 2005 wurde in Kooperation mit dem Kulturpalast Dresden die Ausstellung zum Konrad-Lutz-Preis organisiert. Zwei weitere Ausstellungen folgten 2012. Zusammen mit dem QUEEN-management und Universal brachte die Band MerQury eine große Ausstellung mit vielen QUEEN-Originalen erstmalig nach Deutschland. „QUEEN backstage“ hieß das Ganze und wurde in Kooperation mit dem Einkaufszentrum Elbe-Park Dresden veranstaltet. Sechs Wochen lang konnten Interessierte die Ausstellung kostenfrei bestaunen, die bis dahin nur in London und Tokio zu sehen war.
Bei einer zweiten, viel kleineren, aber sehr berührenden Ausstellung wurden Bilder der Sankt Petersburger Fotografin Lida Mikhaylova gezeigt. Der Titel der Ausstellung war „Positive Kinder“.
Mikhaylova wollte mit den Bildern auf den Missstand von HIV-positiven Kindern in Russland aufmerksam machen. „Aids. Nach einer wahren Begebenheit“ war eine eindringliche Ausstellung des Deutschen Hygiene-Museums im Jahr 2015. Hier stand die Aids-Hilfe nicht nur beratend zur Seite, sondern die Mitarbeiter*innen waren auch während der Ausstellung aktiv bei den Führungen beteiligt. So konnten die Besucher*innen aktuelle Informationen aus erster Hand bekommen.
Vom Papier zu elektronischen Medien
Die Kommunikation mit Mitgliedern des Vereins, Ehrenamtlichen und interessierten Kooperationspartner*innen war und ist ein großes Anliegen der Aids-Hilfe. Transparenz, Information und Werbung für die Anliegen der Aids-Hilfe sind Motive für dieses Engagement.
Erstmals wurde 1994 deshalb der kopierte Newsletter an unterschiedlichste Adressat*innen verschickt. Ehrenamtliche und hauptamtliche Mitarbeiter*innen verfassten dieses in Heimarbeit gestaltete Blättchen. Über vier Jahre ging der Newsletter regelmäßig per Post in die Briefkästen, bis 1998 der Newsletter vom m.ahd abgelöst wurde – m.ahd stand für „Meine Aids-Hilfe Dresden“. Dieses neue Mitteilungsorgan wurde ausschließlich von ehrenamtlichen Redakteur*innen geschrieben und gestaltet. Dieser erschien sowohl im Papierformat als auch erstmals in einer elektronischen Ausgabe, die per Email an die Empfänger*innen versandt wurde. Die letzte Ausgabe des m.ahd erschien Anfang 2011. Die Ausgaben von 2006 bis 2011 können noch heute auf der Internetseite der Aids-Hilfe abgerufen werden.
Es brauchte weitere vier Jahre, bis der neue Newsletter 2015, ausschließlich in elektronischer Form und automatisch an Leser*innen geschickt wurde. Es benötigt nur einen Eintrag mit der persönlichen Emailadresse auf der Homepage der Aidshilfe. Der Newsletter erscheint bis heute in einem regelmäßigen Turnus von zwei Monaten.
Im Jahr 1999 wurde die erste Internetseite ins WorldWideWeb gestellt. Und wieder war diese Neuerung einem engagierten, internetversierten Ehrenamtlichen zu verdanken. Die Webseite der Aids-Hilfe wurde 2004 generalüberholt und schließlich in ihrer heutigen Fassung im Jahr 2011 online gestellt. Die Webseite wartet mit unterschiedlichen fachlichen Themen auf und berichtet in aller Regelmäßigkeit vom Vereins- und Beratungsstellengeschehen. Ergänzt wurde das Informationsangebot mit dem Einstieg bei den sozialen Medien. 2011 veröffentlichte die Aids-Hilfe ihre ersten Posts auf der eigenen Facebook Seite. Seit 2018 ist die Aids-Hilfe auch auf Instagram zu finden. Im Jahr 2000 entwickelte eine Dresdner Grafikerin das Logo, das zum Markenzeichen der Aids-Hilfe Dresden wurde.
Von den Licht- und Schattenseiten in Begleitung und Beratung
Mit der Gründung des Aids-Hilfe Dresden e.V. wurden auch die Arbeitsfelder des Vereines und der Beratungsstelle festgelegt: Prävention, Beratung und Begleitung waren und sind die Kernaufgaben. Hinzu kamen über die 30 Jahre immer wieder spannende neue Projekte. Die Aids-Hilfe musste jedoch auch mit neuen Ideen Niederlagen einstecken, weil Bedarfe nicht erkannt wurden, weil Politik unentschieden war oder weil es niemanden gab, die/der Geld für die Idee ausgeben wollte.
Die Sorge, dass es zu massenhaften Neuinfektionen kommen würde, weil Menschen Freiheit und Mobilität nutzten, war groß. Es zeigte sich jedoch im Verlauf der Jahre, dass sich diese Prognose nicht erfüllte. 1992 gab es den ersten HIV-positiven Mann, der die Beratungsstelle der Aids-Hilfe aufsuchte und sich Begleitung in seiner schwierigen Lebenslage wünschte. Wichtig zu wissen ist, dass 1992 kein wirklich gut wirkendes Medikament gegen die Vermehrung des Virus existierte. Ein zweifelhafter Durchbruch war die Einführung des Wirkstoffes AZT im Jahr 1987. Bekannt wurde das Medikament unter dem Namen Retrovir. Es handelte sich bei diesem Medikament um eine Monotherapie, die zwar das Leben von Menschen mit HIV verlängern konnte, aber nur um wenige Wochen oder Monate. Zudem löste das Medikament heftige Nebenwirkungen aus, die die Alltagsgestaltung von HIV-Patient*innen unerträglich machte. Im Rückblick zeigte sich deutlich, dass AZT in viel zu hoher Dosis verordnet wurde.
Die zwei Fachärzt*innen in Dresden – es waren ein Arzt an der Universitätsklinik und eine Ärztin im Städtischen Klinikum Dresden Neustadt – konnten ihren Patienten*innen nur wenig Hoffnung machen.
Eine wirkliche Veränderung bei der medikamentösen Behandlung setzte 1995 ein, als die erste Zweier-Kombinations-Therapie zugelassen wurde. Ein erster Hoffnungsschimmer für Menschen mit HIV. Die Zahl der Menschen, die sich Begleitung von den Mitarbeiter*innen der Aids-Hilfe wünschten, stieg zwischen 1995 und 2000 von 12 auf 24 Personen an. Den Höchststand an begleiteten Menschen erreichte die Beratungsstelle im Jahr 2008 – in diesem Jahr waren es 42 Menschen.
Die Begleitungsarbeit hat sich in den letzten 30 Jahren stark verändert. Die anfänglich ehrenamtliche Aufgabe hat sich zu einer wirklichen Expert*innen-Aufgabe entwickelt. Die Hoffnungslosigkeit, die in den Anfangsjahren herrschte, wurde von Jahr zu Jahr geringer, zumindest was die Behandlungsmöglichkeiten betraf. Heute sprechen wir von einer chronischen, behandelbaren HIV-Infektion, unter der die meisten positiven Menschen eine durchschnittliche Lebenserwartung erreichen können.
Bei den ganzen erfreulichen Errungenschaften der Medizin darf nicht vergessen werden, dass der gesellschaftliche Umgang mit der HIV-Infektion leider immer mit Stigmatisierung und Diskriminierung einhergeht. Auch in Dresden ist das nicht anders. Eine Veröffentlichung der Infektion im Berufs- oder Alltagsleben ist schwierig bis unmöglich. Zu häufig kommt es zu Benachteiligungen auch heute noch. In der langjährigen Begleitungsarbeit erfuhren die Berater*innen von Entlassungen, von Sonderbehandlungen in Krankenhäusern und Arztpraxen, von vorauseilendem
Gehorsam einer Behörde, mit der Folge, dass die Ausbildung abgebrochen werden musste, von Zwangsoutings, von Diskriminierung in der schwulen Szene, von unfreiwilligen Umzügen, weil das gesellschaftliche Klima in Dresden nicht mehr ertragbar war, von Zwangstestungen, die bis 2015 in Sachsen bei Asylbewerber*innen durchgeführt wurden, von Behandlungsverweigerung, weil der Versicherungsstatus unklar war – von – von – von – von… Es ließe sich hier noch viel mehr aufzählen von einzelnen Schicksalen der Menschen in Dresden, die dieses Virus in sich tragen. Aber es soll an dieser Stelle reichen.
Aids-Hilfe war in diesen vielen Situationen immer „anwaltschaftliche“ Vertretung für die positiven Menschen mit den Mitteln der Information und Aufklärung, mit überzeugenden rechtlichen Argumentationen vor Gerichten, mit vermittelnden Gesprächen zwischen Liebes- und Lebenspartner*innen. Häufig erfolgreich, manchmal Niederlagen hinnehmen müssend.
„Menschen mit HIV nutzen Angebote der Aids-Hilfe zwei bis drei Mal ohne weitere Folgetermine. Unterstützung wird dann angefordert, wenn sie akut ist. Dies vereint sich gut mit dem Grundsatz von Aids-Hilfe: Hilfe zur Selbsthilfe.“ (Christian Willno, Mitarbeiter der Beratungsstelle)
Ähnlich wie die Begleitungsarbeit hat sich auch die Beratungsarbeit in den drei Jahrzehnten verändert. Die telefonische Beratung ist die häufigste Form, die von Ratsuchenden in Anspruch genommen wird. Aus diesem Grund hat die Aids-Hilfe, wie bereits erwähnt, 1994 eigene Berater*innen-Schulungen konzipiert, um das Beratungstelefon kontinuierlich besetzen zu können. Die damals ehrenamtliche Beratung am Telefon existiert heute nicht mehr – zu schwierig und differenziert sind die aktuellen Beratungsanfragen. Die Beratungszahlen stiegen kontinuierlich und es war dringend notwendig, dass die Beratungsstelle ihr Angebot von zwei auf drei Tage ausweiten musste – dies geschah 1998.
Erweitert hat sich das telefonische Beratungsangebot mit dem Eintritt der Beratungsstelle in die bundesweite Telefonberatung 2008. Die Deutsche Aids-Hilfe hat dieses Modellprojekt aufgelegt, um die vielen Beratungsanfragen am Telefon mit hoher Qualität beantworten zu können. So besetzen Montag bis Sonntag Mitarbeiter*innen der Aids-Hilfen aus ganz Deutschland Zeitfenster, so dass jede/r Anrufer*in eine/n kompetente/n Berater*in am Telefon hat.
Bevor die bundesweite Telefonberatung ihre Arbeit aufgenommen hat, installierte die Deutsche Aids-Hilfe im Jahr 2005 ein ähnliches Modell in der sogenannten Onlineberatung. Die Beratungsstelle in Dresden war von Beginn dieses Angebotes dabei. Die ratsuchende Person hat bei der Onlineberatung die Möglichkeit ihre Anfrage an 7 Tagen 24 Stunden auf einen sicheren Server abzulegen. Dort wird die Anfrage von einer/m versierten Berater*in abgeholt und schriftlich beantwortet. Die Antwort liegt dann auf dem Server zu Abholung bereit. Natürlich passiert dies alles unter den strengen Richtlinien des Datenschutzes. Mit der Einführung stellte die Aids-Hilfe Dresden ihr Angebot ein, Beratungen per Email durchzuführen.
Beratung fand in den Jahren auch in anderer Form, Intension und an anderer Stelle statt. 2004 etablierte sich eine Beratergruppe für Jungs im Coming-Out. Die Gruppe gab sich den Namen „Anderes Ufer“ und hatte sehr schnell regen Zulauf. Leider stellte die Gruppe ihr Angebot zwei Jahre später wieder ein, weil die ehrenamtlichen Protagonisten sich in die Welt machten, um zu studieren. Ein zweites Beratungsprojekt resultierte aus gescheiterten sexualpädagogischen Veranstaltungen. In einer Dresdner Schule wurde 2014 eine sexualpädagogische Sprechstunde installiert, in der Schüler*innen der Schule Gelegenheit bekamen mit den Sexualpädagog*innen der Beratungsstelle Fragen zu klären und Sorgen und Nöte zu besprechen. Auch dieses Projekt musste nach eineinhalb Jahren eingestellt werden, weil die verantwortliche Lehrerin Mutter wurde. Niemand aus der Lehrer*innenschaft wollte die Aufgabe übernehmen. Und somit scheiterte ein Projekt wiederholt, weil es an engagierten Personen mangelte.
Ein völlig neues Angebot existiert seit 2019 – der begleitete HIV-Selbsttest. Dank politischer Entscheidungen wurden HIV-Selbsttests in Deutschland im Herbst 2018 zugelassen und gleichzeitig nichtärztlichem Personal erlaubt, die Durchführung dieser Tests in den Beratungsstellen zu begleiten. Lange hatte sich die Aids-Hilfe Dresden dieses Angebot gewünscht. Dank der Entschlossenheit von politischen Entscheidungsträger*innen in Bund und Land ging dieser Wunsch in Erfüllung.
„Für mich ist Beratung zu den Themen HIV und anderen sexuell übertragbaren Infektionen oft mehr als der reine Blick auf das Risiko. Es schwingen vielfältige Themen mit: neben der Sexualität kommen häufig Beziehungsproblematiken bis hin zu Lebenskrisen zur Sprache.“ (Claudia Druve, Mitarbeiterin der Beratungsstelle)
Von der Erweiterung der Perspektiven
Migrationsbewegungen gibt es seit Menschengedenken und das aus unterschiedlichen Motiven. Migrationsbewegung ist auch immer schon ein Teil deutscher Geschichte – egal ob der Blick weit zurück oder ins letzte Jahrhundert oder nur ins letzte Jahrzehnt zurückgeht. Und: Migrationsbewegungen erreichen auch immer die Aids-Hilfe Dresden.
Aber auch der eigene, aktive Blick über den Tellerrand – also über die Grenzen Sachsens und Deutschlands – war und ist immer ein Anliegen der Aids-Hilfe. Dieser Blick eröffnet Perspektiven und bringt neue Ideen. Dieser Blick fördert Einfühlen in und Verstehen von Fremden. In dreißig Jahren Aids-Hilfe Dresden gab es viele Begegnungen mit Menschen. Bei diesen Begegnungen war der Aids-Hilfe immer ein besonderer Punkt wichtig: Respekt vor diesen Menschen.
In der Beratung und Begleitung von Menschen stießen die Mitarbeiter*innen immer wieder auf eigene und fremde Barrieren. Die hinderlichste war die Sprachgrenze zwischen ratsuchender Person und Berater*in. Um diese Barriere niedriger zu gestalten, wurde 1999 mit dem Dresdner Verein für Soziale Integration von Ausländern und Aussiedlern die Idee geboren, ehrenamtliche Sprachmittler*innen als Unterstützer*innen bei der gesundheitlichen Beratung auszubilden.
Im darauffolgenden Jahr leitete die Aids-Hilfe Dresden die Arbeitsgruppe „Dolmetscher-Pool“ an. Die Arbeitsgruppe bestand neben der Aids-Hilfe aus folgenden Einrichtungen: dem Verein für Soziale Integration von Ausländern und Aussiedlern e.V., dem Ausländerrat Dresden e.V., dem Sächsischen Flüchtlingsrat e.V., dem Cabana e.V., der Ausländerbeauftragten der Landeshauptstadt Dresden sowie der Aids-Beratungsstelle des Gesundheitsamtes Dresden.
Ziel der Arbeitsgruppe war die Errichtung eines Netzwerks zur besseren Betreuung und Hilfekoordinierung bei HIV-positiven Migrant*innen. Insbesondere wurde eine Liste mit 25 Sprachen erarbeitet, über die ein Zugang zu haupt- und ehrenamtlichen Dolmetscher*innen möglich war. Als Erfolg der entstandenen Kooperationen wertet der Verein, dass es gelang, einem Klienten ohne Aufenthaltstitel Zugang zu medizinischer Versorgung und sozialen Leistungen zu ermöglichen. Bereits 2000 vorbereitet und in 2001 begonnen wurde eine Schulungsreihe für Dolmetscher*innen zu fachlichen Themen (HIV/Aids, Ausländerrecht u.a.) und zur Rolle als Dolmetscher*in. Parallel organisierte die Aids-Hilfe mit finanziellen Mitteln der Deutschen Aids-Stiftung einen fast einjährigen Deutschkurs für Migrant*innen.
Die Koordination des Dolmetscherpools übergab die Aids-Hilfe 2003 an die Arbeitsgruppe Migrationsberatung der Landeshauptstadt Dresden. Das zarte Pflänzchen Dolmetscherpool wuchs zum heutigen Gemeinde Dolmetscherdienst, ein mehrfach ausgezeichnetes Projekt des Dresdner Vereins für Soziale Integration von Ausländern und Aussiedlern.
Das Damoklesschwert der drohenden Abschiebung von HIV-positiven Migrant*innen führte in der Regel zur Verschlechterung der gesundheitlichen und seelischen Situation der Menschen. Die damalige Rechtsprechung sah vor, dass die Beweislast eines Abschiebehindernisses auf Seite der/des Migrant*in lag. Die Informationslage zu Behandlungsmöglichkeiten von HIV und Aids in den Herkunftsstaaten war dürftig. Gleichzeitig waren in über 100 regionalen Aids-Hilfen in ganz Deutschland Kolleg*innen mit der immer wieder gleichen Problematik konfrontiert: Wo bekomme ich verlässliche Informationen her? Viele recherchierten Stunden im Internet, studierten Gerichtsurteile von geglückten Verfahren in denen HIV als Abschiebehindernis anerkannt wurde.
Im Rahmen eines Ideenwettbewerbs der Deutschen Aids-Hilfe im Jahr 2004 erhielt die Aids-Hilfe Dresden den Zuschlag für ein Internet-Projekt. Die Online-Datensammlung www.aids-laenderberichte.de unterstützte die Mitarbeiter*innen von regionalen Aids-Hilfen in deren Beratungsarbeit. Gleichzeitig stellten viele dieser Kolleg*innen ihre recherchierten Ergebnisse dem Online-Projekt zur Verfügung. Damit konnten vorhandene Ressourcen gebündelt werden und in dem Projekt www.aids-laenderberichte.de verfügbar gemacht werden. Darüber hinaus erleichterte die Datensammlung insbesondere neuen Mitarbeiter*innen durch inhaltliche Beiträge zum Asyl –und Ausländerrecht den Einstieg in die Thematik. Das Projekt arbeitete mehrere Jahre außerordentlich erfolgreich, musste aber 2012 wegen fehlender finanzieller Mittel eingestellt werden.
„Gesundheit ist ein Menschenrecht. Diese Aussage ist für mich nicht nur eine politisch richtige Forderung, sondern meine tiefste persönliche Überzeugung. Gerade in der internationalen Arbeit und mit Blick auf Zuwanderung und Flucht ist sie nicht selbstverständlich. Hinter diesen Schlagworten stehen Menschen, die nicht nur existenzielle Bedürfnisse mitbringen, sondern auch ihre ganz eigene Geschichte, ihre Kultur, ihre Erfahrungen, ihr reiches Wissen und ihre Energie, mit der sie schwierige Lebensbedingungen bewältigen (oder: mit der sie die Sehnsucht nach besseren Lebensbedingungen verfolgen). Wenn wir Aids beenden wollen, müssen wir genau diesen Menschen den Zugang zu Prävention und in das Gesundheitssystem ermöglichen und ihre Kompetenzen als Teil der Lösung einbeziehen.“ (Sylvia Urban, Vorstand des Aids-Hilfe Dresden e.V.)
Europawärts – ein besonderes, schönes und gleichzeitig arbeitsreiches Projekt aus dem Jahr 2013. Und dabei spielte der Zufall eine große Rolle. Zwei Institutionen, im Übrigen ca. 12.000 Kilometer voneinander entfernt, hatten 2012 eine ähnliche Idee.
Über einen Kontakt mit der Evangelischen Hochschule für Soziale Arbeit wurde die Aids-Hilfe Dresden auf das Projekt LoveLife in Südafrika aufmerksam. Eine Gruppe von Studierenden unternahm eine Exkursion nach Südafrika, um das Projekt LoveLife kennenzulernen. In Vorbereitung auf diese Reise trafen sich zwei Studentinnen der Gruppe mit der Aids-Hilfe Dresden, um inhaltliche Vorbereitungen zu treffen. Nach der Exkursion erzählten die beiden Frauen über ihre Erlebnisse und in dem gemeinsamen Gespräch wurde die Idee geboren, zwei Mitarbeiter*innen von LoveLife nach Dresden zu einem Besuch einzuladen. Ein wichtiger Grund hierfür war, dass sich zwar immer wieder europäische und US-amerikanische Volontär*innen bei LoveLife engagierten, jedoch ein echter Austausch, im Sinne einer Gegeneinladung nach Europa oder den USA nie stattgefunden hatte. Die Aids-Hilfe war fest entschlossen diese Idee in die Tat umzusetzen und so wurden Anträge zur Finanzierung dieses Vorhabens geschrieben.
Etwa zum gleichen Zeitpunkt hatte eine Dresdner Sozialarbeiterin, die seit mehreren Jahren bei LoveLife arbeitete, die Idee Gastprojekte in Dresden zu finden, bei denen Volontär*innen aus dem Projekt LoveLife Erfahrungen in Deutschland sammeln konnten. Es erschien ein kleiner Aufruf in einer Dresdner Tageszeitung. Dieser kleine Artikel und ein baldiger Anruf in Südafrika war die Geburtsstunde des Projektes Europawärts.
So bestiegen also Fifi, Precious, Kedi, Victoria, Jabu und Sibu am 12. Januar 2013 die Maschine der Lufthansa auf dem Johannesburger Flughafen bei sonnigen 30 Grad und landeten in Dresden am darauf folgenden Tag bei eiskalten minus 5 Grad. Alle sechs verließen zum ersten Mal ihr Heimatland, manche zum ersten Mal die Stadt, in der sie lebten, um in Dresden für ein halbes Jahr in unterschiedlichen sozialen Einrichtungen einen Freiwilligendienst zu absolvieren. Fachlich fit im Bereich HIV/Aids sowie mit südafrikanischer Mentalität im Gepäck starteten sie in das Projekt, von dem auch die deutschen Gastgeber einiges lernen sollten. Es begann ein kleines Abenteuer mit vielen spannenden Eindrücken.
Für die Mitarbeiter*innen, Vorstände und Ehrenamtlichen in der Aids-Hilfe begann mit der Ankunft der Gäste ebenfalls ein Abenteuer. Noch nie hatte Aids-Hilfe ein Projekt dieses Ausmaßes begleitet, aber nicht weil das Projekt so teuer oder so kompliziert zu organisieren war. Nein. Der Grund lag darin, dass auch die Menschen in Dresden aufgeregt waren auf die Freiwilligen – wie sie sind, was sie von uns erwarten, wie das halbe Jahr insgesamt verlaufen wird. Und aufgeregt auch, weil die Dresdner*innen ein wenig Sorge hatten, ob das „weltoffene“ Dresden die Gäste auch wirklich freundlich empfangen und sie keinen fremdenfeindlichen Attacken ausgesetzt sein würden. Und um es vorweg zu nehmen – Dresden hat die südafrikanischen Gäste begeistert. Die befürchtete Fremdenfeindlichkeit blieb aus.
Ein halbes Jahr waren Fifi, Precious, Kedi, Victoria, Jabu und Sibu in Gastfamilien beheimatet. Sie hatten ein eigenes Zimmer und in manchen Familien auch „neue“ Geschwister gefunden. Sie hatten „neue“ Mütter und Väter, die sich um ihren Familienzuwachs intensiv kümmerten, mit ihnen reisten, die ihnen Möglichkeiten eröffneten, Deutschland und „die“ Deutschen kennenzulernen. Es wurde gemeinsam gelebt, gekocht, gegessen und gefeiert. Es wurden stundenlange Gespräche geführt, immer mit einem großen Interesse an der Kultur des anderen.
Dieses Interesse fanden die Freiwilligen auch bei ihren Präventionseinsätzen in Dresdner Schulen. So wurden sie jeweils in einem Zweier- oder Dreierteam von interessierten Lehrer*innen eingeladen, um mit den Schüler*innen über HIV und Aids in Südafrika, über das Leben als Jugendlicher dort und das große faszinierende Land überhaupt zu sprechen und zu diskutieren.
Die jungen Südafrikaner*innen fanden in diesem halben Jahr Freund*innen, konnten ihr Wissen und ihre Erfahrungen an andere weitergeben und von Menschen, denen sie begegnet sind, Neues lernen und erfahren. Es war ein aufregendes halbes Jahr, das den Blick auf Südafrika und auf die Infektionskrankheit HIV verändert hat. Es war eine turbulente Zeit, die manchmal die Beratungsstelle komplett auf den Kopf gestellt hat. Die sechs Freiwilligen haben alle Beteiligten wachgerüttelt und die Dresdner*innen rüttelten die Südafrikaner*innen wach. Alle hatten sich nach dem halben Jahr verändert.
Das gesamte Projekt wurde filmisch begleitet – in Südafrika und Deutschland. Die einstündige Dokumentation wurde 2014 fertiggestellt, aber leider nie wirklich einem breiten Publikum vorgeführt. Schade. Der Film liegt in der Beratungsstelle der Aids-Hilfe und ist ausleihbar.
Vom Verhindern und Ermöglichen
Gerade in den Anfangsjahren der Aids-Hilfe klingelte das Beratungstelefon selten und es stand auch keine Schlange von HIV-positiven Menschen vor der Türe. Darum war das Thema Prävention die Aufgabe, der am meisten Zeit gewidmet wurde. Prävention – also Vorbeugen; in diesem Fall die Verhinderung einer HIV-Infektion. Schon 1992 wurde zusammen mit dem Gerede e.V. das Projekt „Männer im Park“ durchgeführt. Dabei ging es vornehmlich darum, schwulen Männern an Orten, wo Sex stattfand, Safer-Sex-Regeln zu vermitteln und Kondome zu verteilen.
Diese Idee von Prävention war auch Grundlage von drei Safer-Sex-Partys, die die Aids-Hilfe zum Unmut der sächsischen Politik veranstaltete. Öffentliche Mittel für einen solchen „Schweinskram“ auszugeben, gefiel der regierenden CDU überhaupt nicht. Die Aids-Hilfe wurde in das Ministerium zitiert, es wurde ihr gedroht und sie wurde ermahnt und damit waren die ersten drei Partys im Jahr 1994 auch die letzten. Schließlich ging es darum möglicherweise Fördermittel zu verlieren. Prüderie, Moral und Anstand erstickten im Osten das, was im Westen schon lange als Präventionsaktion praktiziert wurde, im Keim.
Die „gute“ Prävention in Schulklassen, nämlich die Aufklärung über das Virus und das Aufzeigen der Schutzmöglichkeiten vor einer Infektion mit einem Kondom wurden hingegen begrüßt. Es durfte nur nicht zu weit gehen. Bei einem großen Aktionstag 1995 zum Thema HIV und Aids an einem Dresdner Gymnasium mussten die Präventionist*innen aus dem Gesundheitsamt und der Aids-Hilfe beim Direktor des Gymnasiums antreten und sich rügen lassen. Es gab massive Elternbeschwerden nach der Aktion einzig, weil den Jugendlichen Broschüren zugänglich gemacht wurden, in denen auch nackte Haut zu sehen war – ein Skandal! – und heute fast nicht mehr vorstellbar oder vielleicht bald wieder?
Prävention an Schulen ist bis heute ein wichtiges Arbeitsfeld, hat sich aber grundlegend geändert. Die reine Präventionsarbeit bezüglich einer Infektion mit HIV hat sich eingereiht in das Konzept der sexuellen Bildung. Bei den Veranstaltungen an Schulen geht es also nicht mehr nur darum, wie sich das Virus verbreitet und wie Schüler*innen sich davor schützen können. Es geht vielmehr um eine ganzheitliche sexuelle Bildung – also auch um Themen, wie sexuelle Vielfalt, Schwangerschaft, Partner*innenschaft, Sexualität und Medien und vieles mehr.
„Prävention hat auch immer irgendwie etwas mit Beziehung zu tun. Natürlich benötigen wird gedruckte oder elektronische Informationen oder Botschaften. Aber wirklich wirksam wird Prävention, wenn sie von Mensch zu Mensch passiert.“ (Uwe Tüffers, Mitarbeiter der Beratungsstelle)
Und auch die Präventionskonzepte und -botschaften in der Gruppe der MSM (Männer, die Sex mit Männern haben) hat sich grundlegend gewandelt. SaferSex – also Sex mit Kondom – war DIE Botschaft der Aids-Hilfe, die über Broschüren, Workshops, Aktionen zum Christopher-Street-Day und wo auch immer Männer, die Sex mit Männer haben, sich aufhielten verbreitet wurde. Jahrelang wurde diese Botschaft wie ein Mantra vor sich hergetragen, bis 2008 eine kleine wissenschaftliche Studie der Eidgenössischen Kommission für Aidsfragen das gesamte Konzept auf den Kopf stellte – es war ein Meilenstein in der Geschichte von HIV und Aids. Was schon länger inoffiziell vermutet wurde, machte eine schweizerische Behörde öffentlich: Bei einer erfolgreichen HIV-Therapie kann HIV selbst beim Sex ohne Kondom nicht übertragen werden. Unfassbar!
Diese Nachricht wurde auch in Dresden unter den verschiedenen Akteur*innen stark diskutiert. Der Glaubenssatz „Kondome schützen“ sollte durch einen zweiten Glaubenssatz komplementiert werden: „n=n – nicht nachweisbar = nicht infektiös“. Es gab Zweifler*innen und starke Befürworter*innen. Und es gab die Fragen: Wie jetzt weiter mit der Prävention? Wie bekommen wir diese Erkenntnis in die Szene und in die sexuelle Bildung? Bleiben wir glaubhaft, wenn wir zwar nicht das Kondom in Frage stellen, aber jetzt erklären, dass Sex mit einem Menschen, der HIV-positiv ist, auch ohne Kondom funktionieren kann? Bis heute beschäftigt uns dieses Thema – und wir werden noch einige Zeit benötigen, bis sich diese Erkenntnis auch bei Ottonormalverbraucher*innen durchgesetzt hat.
Ein weiteres veränderndes Ereignis war die offizielle Zulassung der PrEP – die Präexpostionsprophylaxe. Kurz gesagt: PrEP ist eine Pille vor dem Sex, die eine Infektion verhindert. Diese medikamentöse Form der Infektionsverhinderung war in anderen europäischen Ländern schon lange zugelassen. In Deutschland war die Besorgung des notwenigen Medikaments über Umwege auch möglich – nicht ganz legal und dabei auch noch ohne jede medizinische Begleitung. Die PrEP wurde 2016 zugelassen und konnte somit von den HIV-Spezialist*innen verschrieben werden. 2019 wurde die PrEP zur Kassenleistung.
„Welche Herausforderungen es auch waren: wir haben es immer als Chance begriffen, z. B. die schweizerische Position zur Nichtinfektiösität unter antiretroviraler Therapie im Frühjahr 2008 oder die internationalen Erfolge der Prä-Expositionsprophylaxe (PrEP). So ein bisschen Avantgarde waren wir schon.“ (Ricardo Schulze, Vorstand des Aids-Hilfe Dresden e.V.)
Traditionell und schon ein wenig wie Rituale werden alljährlich der Christopher-Street-Day seit 1993 und der Welt-Aids-Tag in Dresden seit 1991 mit unterschiedlichen Aktionen durch die Aids-Hilfe begangen. In den Jahren hat die Aids-Hilfe mit mal witzigen, mal provokanten und mal nachdenklichen Präventionsaktionen Menschen erreicht und auf das Thema aufmerksam machen können. Es ist ein Zuviel hier alle Aktionen einzeln aufzulisten und zu beschreiben. Aber die Bilder, die diese Chronik illustrieren, geben einen kleinen Überblick über das Geschehen.
Fortsetzung folgt!