Fünf Fragen an den DAH-Medizinexperten Armin Schafberger
Haben das Coronavirus und HIV Ähnlichkeiten? Sind Menschen mit HIV besonders durch das Coronavirus gefährdet? Was sollten sie bedenken? Armin Schafberger, Medizinreferent der Deutschen Aidshilfe, gibt Auskunft.
Haben das neue Coronavirus und HIV Ähnlichkeiten? Einigen Berichten zufolge sollen bestimmte HIV-Medikamente ja auch gegen Coronaviren wirken.
Das Coronavirus, das uns gerade in Atem hält – genauer: SARS-CoV-2 – und auch andere Coronaviren brauchen zu ihrer Vermehrung unter anderem ein Enzym namens Protease. Und es gibt eine Gruppe von HIV-Medikamenten, die die HIV-Protease blockieren: die sogenannten Protease-Hemmer oder Protease-Inhibitoren. Schon 2004 hat man die Wirkstoffe Lopinavir und Ritonavir, kombiniert im Präparat Kaletra, versuchsweise gegen das mit SARS-CoV-2 verwandte SARS-Virus eingesetzt und eine gewisse Wirkung erzielt.
Allerdings ist Skepsis angesagt: Bei Laborversuchen mit dem ebenfalls verwandten MERS-Virus zeigte sich keine große Wirksamkeit der HIV-Medikamente gegen die Virusvermehrung.
Zurzeit werden verschiedene Substanzen gegen das Coronavirus an Patient_innen getestet, unter anderem auch der schon erwähnte gegen HIV wirksame Protease-Inhibitor Kaletra (Lopinavir/Ritonavir). Erst wenn diese Studien abgeschlossen sind, wissen wir, ob und welche Substanz auch gegen das Coronavirus wirkt. Eine der Kaletra-Studien, die in Ghuangzou in China an 125 Patient_innen durchgeführt wird, wird voraussichtlich Ende Juli abgeschlossen sein – ebenso eine zweite in Hongkong mit 70 Patient_innen (Kaletra in Kombination mit Interferon und Ribavirin). Man kann sich auf der englischsprachigen Webseite www.clinicaltrials.gov selbst ein Bild über die laufenden Studien machen, wenn man im Suchfeld „Conditions or disease“ das Wort coronavirus eingibt.
Übrigens: Die Verschwörungstheorie, das neue Coronavirus sei im Labor unter anderem aus HIV-Erbgutabschnitten „zusammengebaut“ worden, kann man nicht ernst nehmen. Sie geht vor allem auf einen unveröffentlichten Artikel aus Indien zurück, wonach bestimmte Abschnitte des Coronavirus-Erbguts Ähnlichkeit mit Teilen des HIV-Erbguts haben. Der Beitrag wurde aber sofort von Wissenschaftler_innen zerpflückt – die angesprochenen Abschnitte sind so winzig, dass sie auch bei vielen, vielen anderen Genen vorkommen.
Oft liest man ja, dass ältere Menschen oder Menschen mit Begleiterkrankungen ein höheres Risiko für einen schweren Verlauf der Coronavirus-Infektion haben. Gilt das auch für Menschen mit HIV?
Darüber wissen wir noch nichts. Bisher wurden in den Studien nur die sogenannten Volkskrankheiten genannt: Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Asthma und Diabetes mellitus. Ein geschwächtes Immunsystem muss man sicher auch zu „Vorerkrankungen“ rechnen. Die meisten Menschen mit HIV nehmen aber HIV-Medikamente. Die Medikamente unterdrücken die HIV-Vermehrung im Körper und schützen so das Immunsystem. Bisher gibt es keine Anzeichen dafür, dass Menschen mit HIV-Behandlung durch eine Coronavirus-Infektion besonders gefährdet sind – aber wir haben einfach noch keine Daten dazu.
Wie können Menschen mit HIV sich vor einer Ansteckung mit Coronaviren schützen?
Menschen mit HIV schützen sich genauso wie alle anderen vor Coronaviren.
Das heißt: die Hände von allen Seiten und bis zu den Handgelenken mit Seife einreiben und dabei 20 bis 30 Sekunden Zeit lassen, dann Seife unter fließendem Wasser abspülen und die Hände mit einem sauberen Tuch trocknen.
An erster Stelle steht Hände waschen, Hände waschen, Hände waschen
Wasser und Seife reichen – ein Desinfektionsmittel ist nicht nötig.
Vor allem sollte man die Hände immer dann waschen, wenn man etwas angefasst hat, was auch andere Menschen anfassen. Dazu gehören zum Beispiel Haltegriffe im Bus oder der U-Bahn, Türklinken, Toilettenspülungen usw.
Wichtig ist auch, die Hände möglichst vom Gesicht fernzuhalten und Nase, Mund und Augen nicht zu berühren.
Wer sein Risiko weiter reduzieren will, sollte außerdem Abstand zu anderen Menschen halten – empfohlen wird mindestens ein Meter – und größere Veranstaltungen meiden.
Außerdem sollte man in die Armbeuge husten oder niesen – die Hand vor dem Mund hält Tröpfchen nicht auf.
Welche weiteren Tipps zu Corona gibt es für Menschen mit HIV?
Keine anderen als sonst auch.
Aber jede und jeder sollte zumindest in den nächsten Wochen überlegen, ob geplante Reisen oder Veranstaltungen vielleicht verschoben werden sollten. Das gilt natürlich besonders für Reisen in Gebiete, die vom Robert-Koch-Institut als Risikogebiete ausgewiesen werden.
Was sollten Menschen mit HIV in Sachen Coronavirus noch bedenken?
Menschen mit HIV sollten – wie alle Menschen mit chronischen Erkrankungen, die Medikamente brauchen – darauf achten, bei Reisen eine Medikamentenreserve für zwei zusätzliche Wochen dabei zu haben. Falls eine Quarantäne verhängt wird, wie gerade bei dem Hotel auf Teneriffa, hat man dann genug Medikamente dabei.
Außerdem sollten sich auch Menschen mit HIV vor Reisen mit dem aktuellen Nordhalbkugelimpfstoff gegen Grippe impfen lassen. Neben dem Schutz vor Grippe trägt die Impfung auch dazu bei, unnötige Corona-Verdachtsfälle zu vermeiden – das schont das Gesundheitssystem.
Quelle: Das Interview mit Medizinreferenten Armin Schafberger führte Holger Sweers. Zuerst erschienen auf magazin.hiv